Erst im Juli hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen auf 4,25 Prozent erhöht. Dem höchsten Stand seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008. Der rapide Anstieg der Zinsen über die letzten 18 Monate in Europa und auch den USA hat die Märkte zwischenzeitlich durcheinandergewirbelt. Die Auswirkungen auf verschiedene Anlageklassen waren dabei oft sehr unterschiedlich. Grund genug, auf diese Entwicklungen zurückzublicken und Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Denn eines ist sicher: Die Zeit wieder sinkender Zinsen kommt bestimmt!
Die Leitzinsen sind ein zentrales Instrument der Geldpolitik einer jeden Volkswirtschaft im Kampf gegen Inflation (Zinserhöhungen) oder zur Stützung der Konjunktur (-senkungen). Bei Zinserhöhungen steigt der Kostenaufwand für Geschäftsbanken, wenn sie sich bei ihrer Zentralbank Geld leihen. Diese zusätzlichen Kosten werden in der Regel von den Geschäftsbanken auf ihre Kunden (Privatleute und Unternehmen) übertragen. Verändert eine Zentralbank ihre Leitzinsen, hat das aber nicht nur direkte Effekte auf den Finanzsektor, sondern zieht auch weitreichende Konsequenzen für alle Anlageklassen wie Aktien, Anleihen, Rohstoffe und Edelmetalle nach sich.
Nach mehreren Zinserhöhungen im Verlauf dieses Jahres zeichnet sich laut Marktexperten langsam das Ende des Zinserhöhungszyklus ab. Angesichts der zurückgehenden Kerninflation in den USA wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Federal Reserve weitere Zinserhöhungen durchführt. Im Gegensatz dazu wird in Europa mindestens ein weiterer Zinsschritt im laufenden Jahr erwartet. Einige Wirtschaftswissenschaftler haben jedoch jüngst für die Idee einer Zinspause im September plädiert. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, sowie Friedrich Heinemann, Ökonom am Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW, sprachen sich dafür aus, die Wirkung der jüngsten Zinserhöhungen abzuwarten und ihre Auswirkungen auf die Inflationsentwicklung zu beobachten. Im Oktober könnte die EZB dann immer noch mit einem Zinsschritt reagieren.
Anleger, die von einer möglichen Trendumkehr bei den Zinsen profitieren möchten, sollten frühzeitig ihre Anlagestrategie anpassen, um auf potenziell fallende Zinsen vorbereitet zu sein. Hierbei ist es entscheidend, die Reaktion verschiedener Anlageklassen auf Zinsänderungen genau zu analysieren. Und selbst innerhalb der einzelnen Kategorien kann es deutliche Unterschiede in der Stärke der Reaktion geben.
1. Anleihen:
Anleihen sind festverzinsliche Wertpapiere, und ihre Rendite steht in direktem Zusammenhang mit den aktuellen Zinssätzen. Steigende Leitzinsen führen dazu, dass neu emittierte Anleihen höhere Zinsen bieten müssen, um Anleger anzulocken. Bestehende Anleihen mit niedrigeren Zinssätzen verlieren daher an Attraktivität und könnten an Wert verlieren, wenn Anleger auf dem Sekundärmarkt höhere Renditen verlangen. So geschehen im Jahr 2022, als steigende Zinsen zu massiven Verlusten bei langlaufenden Anleihen führten. Anleihen mit kürzeren Laufzeiten wurden hingegen deutlich weniger von Zinsschwankungen beeinflusst – egal ob nach oben oder nach unten.
Umgekehrt könnten sinkende Leitzinsen die Nachfrage nach bestehenden Anleihen erhöhen, da sie im Vergleich zu neuen Anleihen mit niedrigeren Zinssätzen attraktiver werden. Dies kann zu steigenden Anleihepreisen führen, was zu Kapitalgewinnen für Anleiheinvestoren führt. Allerdings könnten stark sinkende Zinsen auch zu einem Punkt kommen, an dem die Renditen auf Anleihen so niedrig sind, dass Investoren nach alternativen Anlageklassen suchen.
Aktuell bewegen sich Anleihe (noch) in einem besonderen Umfeld: Die Zinsstruktur ist invers! Das bedeutet, dass die Renditen für kurzlaufende Anleihen höher sind als die Renditen für langlaufende Anleihen. Es sollte also noch eine Weile vorteilhaft sein, sogenannte „Kurzläufer“ zu bevorzugen. Erst wenn die Zinsen wieder fallen oder sich die Konjunktur deutlich aufhellt, könnte die Situation wieder zu Gunsten der „Langläufer“ kippen.
2. Aktien:
Steigende Leitzinsen belasten in der Regel den Aktienmarkt. Investoren könnten ihre Kapitalallokation überdenken und vermehrt in festverzinsliche Anlagen umschichten, die nun attraktivere Renditen bieten. Die höheren Opportunitätskosten für den Besitz von Aktien können zu einem Rückgang der Nachfrage führen, was wiederum die Aktienkurse unter Druck setzt. Unternehmen könnten auch mit steigenden Zinskosten für Schulden konfrontiert werden, was ihre Gewinnmargen reduzieren könnte.
Niedrige Leitzinsen haben tendenziell positive Effekte auf den Aktienmarkt. Sie verringern die Attraktivität von Anleihen und anderen festverzinslichen Anlagen, da diese im Vergleich zu Aktien niedrigere Renditen bieten. Investoren könnten daher vermehrt in Aktien investieren, um höhere Erträge zu erzielen. Dies kann zu einer erhöhten Nachfrage nach Aktien führen, was wiederum die Kurse steigen lässt.
Darüber hinaus können niedrige Zinsen die Kosten für Unternehmenskredite reduzieren. Unternehmen können günstiger Kapital aufnehmen, um Investitionen zu tätigen und zu wachsen. Dies kann sich positiv auf die Gewinne und somit auf die Aktienkurse auswirken. Gemeinhin zählen in Zeiten niedriger Zinsen insbesondere Wachstums-Aktien zu den Gewinnern. Diese profitieren oft stärker als Value-Aktien von den niedrigen Finanzierungskosten. Darüber hinaus steigen die Bewertungen der Wachstumsunternehmen stärker, da die zukünftig erwarteten Erträge weniger stark abdiskontiert werden. Gerade Nebenwerte und Technologieaktien werden in Zeiten fallender Zinsen damit wieder besonders attraktiv.
Die Entscheidung zwischen Value- und Growth-Aktien hängt aber letzten Endes von den individuellen Anlagezielen und der Risikobereitschaft ab. Während Value-Aktien in einem unsicheren Marktumfeld Stabilität bieten könnten, könnten Growth-Aktien mit ihrem Potenzial für zukünftiges Wachstum locken.
3. Rohstoffe und Edelmetalle:
Leitzinsänderungen haben auch Einfluss auf Rohstoffmärkte, insbesondere auf Rohstoffe, die in US-Dollar gehandelt werden. Sinken die Leitzinsen in den USA schneller und stärker als in anderen Währungsregionen, schwächt dies den US-Dollar und kann den Preis von Rohstoffen steigen lassen. Da Rohstoffe auf den internationalen Märkten in Dollar notieren, können sie für Inhaber anderer Währungen günstiger werden, was die Nachfrage befeuert. Stärker als von der Zins- oder Währungsentwicklung sind Rohstoffe aber von der Konjunktur abhängig. Kommt die Wirtschaft – dank fallender Zinsen – besser in Schwung und die Auftragslage der Unternehmen verbessert sich, so steigt auch die Rohstoffpreise.
Im Segment der Rohstoffe nehmen Edelmetalle eine Sonderrolle ein. Gold wird oft als "sicherer Hafen" betrachtet, der in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und hoher Inflation Schutz bieten kann. Bleiben die Notenbanken im Kampf gegen die Inflation erfolgreich, könnte dies Gold also weniger attraktiv machen. Auf der anderen Seite reduzieren fallende Zinsen auch die Opportunitätskosten für den Besitz von Gold, da es im Gegensatz zu Aktien und Anleihen keine laufenden Erträge wie Zinsen oder Dividenden generiert.
Fazit: Die Auswirkungen von Zinsänderungen sind nicht immer vorhersehbar und werden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, einschließlich wirtschaftlicher Bedingungen und globaler Ereignisse. Eine kontinuierliche Überwachung der Marktentwicklungen und eine Anpassung der Anlagestrategie sind daher von großer Bedeutung. Mit einem Mix aus Aktien und Anleihen sollten Anleger aber gut auf die Zinswende vorbereitet sein. Bei größerer Risikoneigung kann der Anteil von Aktien und insbesondere Wachstumswerten in den Portfolios erhöht werden. Im Anleihesegment ist bei der Auswahl auf die Laufzeit (Duration) der Wertpapiere zu achten. Kippt die Zinskurve, können langlaufende Anleihen wieder stärker gewichtet werden.
Beim Blick auf die möglichen Gewinner der Zinswende sollte aber auch eine breite Streuung der Anlagen nicht vernachlässigt werden. Diese bleibt auch in Zeiten sinkender Zinsen der beste Schutz vor bösen Überraschungen.
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